Esbat 11. Februar 2017 #2

Esbat 11. Februar 2017 #2

Unruhige, aufgedrehte, niedergeschlagene Passanten; gereizte Menschen- hektischer noch als in einem Bienenstock sind sie am Samstag alle durch die Gassen und Wege gehastet, auf den Strassen koordinationslos hin und her gerast, geschnitten, gehupt, wild hinter den eigenen  Autoscheiben haben sie gestikuliert…                                                                                                                   klar, hieß es: Vollmond ist!
Ja, Vollmond ist.
Sturmmond wurde er aus alter Zeit her im Februar genannt- Sturmmond, so werde auch ich ihn jetzt nennen, wie in alter Zeit, wie
auf den alten Wegen, weil ich auf den neuen Wegen verloren gegangen bin…
Mein erster Esbat.
Die Kraft des Vollmondes feiern, die Göttin in ihrer ganzen, vollen, uneingeschränkten Macht betrachten, spüren, Halt finden im immerwährenden Zyklus der Natur und ihrer Kräfte, Kraft schöpfen aus dem Wissen, ein Teil davon zu sein.

Aber wie in der hektischen, alles überdeckenden, jeden Lebensbereich ergreifenden digitalisierten Leistungsgesellschaft mit ihren Neonlichtern, Zielvorgaben, Terminen und Ultimaten, künstlich geschaffenen Bereichen und von dritter Hand vorgegebenen-künstlichen- Werten, wie diese Verbindung zu ihr finden? Wo anknüpfen am Lauf der (Mond)Zeit, wodurch zu sich selbst finden um eine Verbindung herzustellen, womit die Matrix abstreifen die mich hineinzwängt in ein vorgegebenes, fremdbestimmtes System, auf mir liegt wie eine zweite Haut aus der ich mich nicht schälen kann… viel zu fremd, viel zu weit weg ist mir mein eigenes natürliches Selbst schon; viel zu wenig passen meine natürlichen Bedürfnisse in die heute beinah ausschließlich technische Menschenwelt- die wenigen dünnen Fäden in, von und zur Natur sind rar und schwer zu fassen, gehen viel zu oft unter im Laufschritt der Moderne.

Am Abend treffen wir am Versammlungsort ein, wir alle, die dem Sog der fremd gewordenen Zivilisation für heute Abend entkommen wollen. Die Mondin ist nicht zu sehen, zu dicht ist der  Nebel, trotzdem bin ich aufgeregt. Sie ist ganz klar zu spüren, meine Nervosität, unter der Müdigkeit, den Kopfschmerzen, ein leises, leichtes Prickeln unter dem Schmutz des harten Arbeitstages. Kurz war ich am überlegen nicht mitzumachen, abzusagen, nach Hause zu fahren um zu schlafen, die Augen zuzumachen und den anstrengenden Tag zu vergessen, Vergangenheit werden zu lassen, zu vergessen- ein normaler Tag der sich naht- und übergangslos in das Einheitsgrau der zig Hundert anderen vorangegangenen Arbeitstage reiht, gelebt und dadurch unvergessen, aber doch zu eintönig um sich daran erinnern zu können.
Aber nein! Mein neuer, alter Weg, meine begonnen Reise schreibt mir vor- nein- ich schreibe mir selbst vor, mir für das bewusste Gehen dieses gewählten Weges Zeit zu nehmen! Auch wenn gerade nicht viel Zeit da ist, wenn es gerade nicht leicht geht, wenn es gerade wieder einmal von allem anderen, das ich zum Großteil nicht selbst gewählt habe, überdeckt und überschnitten wird- ich werde mir die Zeit nehmen! Ich werde mir diese Zeit nicht nehmen lassen!

Kuss und Gruß am Beginn, vertraute Gesichter aus dem Kreis, neue Gesichter zum Kennenlernen, vertraut machen mit dem Ort an dem wir uns befinden- ich muss in mich hinein lächeln: obwohl ich meinen neuen Weg beschreite auf dem, davon bin ich überzeugt,  mir viel Neues und Fremdes begegnen wird, ist eines der ersten Dinge die ich erkenne, dass ich alte Muster weiter lebe.
Vielleicht meine erste Erfahrung die ich ziehen kann? Dass die Schritte die ich mache, selbst auf einem neuen Weg, immer die alten sind? Dass es nicht auf das Was, sondern auf das Warum ankommt? Nicht wie ich etwas mache, sondern warum? Welche Schlüsse ich aus den Taten ziehe, welche Gründe mich zu den Taten bewegen? Ein paar Gesichter kenne ich nicht, ein paar nicht gut: wir begrüßen uns, stellen einander vor, erkunden gemeinsam den Ort- alte Muster. Doch wir konkurrieren nicht, bewerten nicht, urteilen nicht- wir sind einfach da, jeder für sich, alle zusammen- neue Erfahrung  durch alte Muster? Ganz Produkt der Gesellschaft habe ich sie gesucht, die Struktur, die vorgegebene Einteilung, die vorbestimmten Rollen, die standardisierten Abläufe; war bereit mich anleiten zu lassen, mir zeigen zu lassen wie ich den Weg zur Mondin finde, mich zu ihrer Kraft führen zu lassen; bin davon ausgegangen, dass man mir mein Arbeitsfeld bestimmt und ich dann darin schalte und walte… wir bereiten unser Ritual vor und ich erkenne, dass es dieses „Hinführen“ nicht geben wird, dass niemand mir mein Arbeitsfeld vorab abstecken wird, dass es keine Fremdbestimmung geben wird. Das tatsächlich zu begreifen fällt mir schwer, danach zu handeln ungleich schwerer!
Die Ritualplanung ist anstrengend und lange- dabei wollte ich doch heute nicht mehr arbeiten, nichts mehr tun, mich nicht mehr wirklich bemühen sondern nur den Vollmond feiern und mir seine Kraft zu eigen machen, meine Speicher aufladen, sozusagen.

Sich selbst die höchste Autorität sein, zu tun was auch immer man will unter der Prämisse, dass es niemandem schadet- überraschenderweise beinhaltet das auch selbst entscheiden. Selbst in Aktion zu treten, selbst Verantwortung zu tragen, selbst Tätig zu werden und eben nicht auf das vom System oder der Einheit Vorgegebene zu warten. Unser gemeinsames Ritual wird nicht in Anwesenheit aller bestimmt und dann von allen Individuen einzeln in Koordination durchgeführt, sondern es wird gemeinschaftlich erarbeitet und gemeinschaftlich gehalten. Und obwohl es keine festen und  fixen Formeln, Abläufe, Vorgänge und Texte gibt die eingehalten oder rezitiert werden können/ müssen, entsteht im Kreis trotz aller Individualität eine seltsame Form der Einheit. Nicht im Tun, nicht im Sprechen sondern durch den Zweck des Kreises in dem wir trotz der jedem/r eigenen Zugangs, Empfindungen, Erfahrungen, Ansichten, Herangehensweisen, persönlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten, dieses eine gemeinschaftliche Ziel vor uns haben: den Kreis an sich, zwischen den Welten um alle Welten zu ändern.
Weil Veränderung in und mit uns selbst beginnt?
Weil die Natur uns lehrt in uns selbst die Kraft zu finden, uns auffordert selbst zu entscheiden? Selbst tätig zu werden?
Nicht auf Führung von außen zu warten? Aber auch nicht selbst die Führung von außen sein?

Mein erster Esbat hat, trotzt der überraschend anstrengenden Planung, mit mehr Kraft geendet als ich ihn begonnen habe- und er hat mich mit weit mehr Fragen zurück gelassen, als ich glaubte jemals hätte stellen zu können. …

Gum biodh ràth le do thurus!                                                                        Realef